Dortmund (kobinet - 04.03.2003 - 12:22) Mit dem von Antje Henninger und Gusti Steiner verfassten und von MOBILE - Selbstbestimmt Leben Behinderter e.V. in Dortmund herausgegebenen «Schwarzbuch Deutsche Bahn AG - Handbuch der Ignoranz» greifen die AutorInnen eine Tradition der sechziger und siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts auf. Damals gab es zu vielen politischen Themen Schwarzbücher. Sie setzten sich kritisch mit Institutionen auseinander.
Das «Schwarzbuch Deutsche Bahn AG» zeigt auf, wie die Deutsche Bundesbahn bzw. die Deutsche Bahn AG seit Jahrzehnten mit Behinderten und deren Mobilitätsproblemen umgeht. «Die Bahn geht in ihren Broschüren und in ihrem Handeln von einem falschen Behinderungsbild aus. Sie unterscheidet nicht zwischen der Beeinträchtigung ihrer Fahrgäste und den Behinderungen, die sie selbst diesen Mobilitätsbehinderten in den Weg stellt. Nicht die Lähmung ist die Behinderung, sondern bauliche Barrieren, unzureichende Einstiegsmöglichkeiten in die Waggons, gestalterische Barrieren in Medien und Informationssystemen, schlecht lesbare Fahrpläne und und und behindern diese Personengruppe. Die Verantwortlichen sehen nicht, dass sie beeinträchtigte Menschen behindern, sie geben diesen Menschen mit ihrer Abweichung von welcher Normalität auch immer die Schuld, dass sie nicht mit der Bahn zurechtkommen», so die Beschreibung im Ankündigungstext für das Buch.
Vor dreißig Jahren wurden beeinträchtigte Menschen im Gepäckwagen befördert. Die Ausrede der Bundesbahn lautete damals, man könne Waggons nicht umbauen. Später hieß es, der Umbau sei zu teuer. Zwischenzeitlich wurden Rollstuhlfahrerinnen einfach bundesbahngerecht verpackt und in die Wagen transportiert. Eine Art Sackkarre sollte die Probleme lösen. Am Ende gab es einen Waggon mit Stellplatz und Toilette, aber der Einstieg wurde nicht gelöst: An den Bahnsteigen standen sogenannte Einstiegshilfen. Im Ernstfall fand niemand diese Hilfen. Beeinträchtigte Fahrgäste fuhren und fahren noch immer zur nächsten Station und hoffen, dass dort die Aus- und Einstiegshilfen rechtzeitig aufgefunden werden. Die Deutsche Bundesbahn und später die Deutsche Bahn AG haben sich über Jahre geweigert, waggongebundene Einstiegshilfen zu installieren. Sie haben nie ein Gesamtkonzept umgesetzt, um beeinträchtigte Fahrgäste menschenwürdig zu befördern. Abwehr- und Vertröstungsstrategien waren und sind an der Tagesordnung.
Antje Henninger und Gusti Steiner dokumentieren und belegen im Detail in diesem Buch auf rund 150 Seiten die Geschichte der Bahn anhand der behinderten Fahrgäste. Sie tun das mit großer Sorgfalt, aber nicht ohne Witz und Ironie. Das Buch wird seinem Untertitel gerecht: «Handbuch der Ignoranz». Immer wieder ignoriert und ignorierte die Bahn die Bemühungen und Forderungen der Betroffenen nach Änderung. Eine große Zahl von Erfahrungsberichten beeinträchtigter Menschen belegt, was Betroffenen im Kontakt mit der Bundesbahn passiert. Immer wieder werden sie mit einer Entschuldigung und einigen Gutscheinen für den Speisewagen hingehalten. Manche merken erst bei der nächsten Fahrt, dass sie den Gutschein im Speisewagen nicht einlösen können; sie kommen erst gar nicht zum Speiseabteil. Daneben behaupten die Verantwortlichen der Bahn, die Kosten für barrierefreie Bahnanlagen wären zu hoch. Aber die Bahn steckt sich jährlich die quotenmäßige Fahrpreiserstattung des Bundes und der Länder für behinderte Fahrgäste in die Tasche. Sie verdient daran, dass sie beeinträchtigte Menschen von ihren Einrichtungen aussperrt.
Die Texte sind durch Cartoons aufgelockert, ein schwer verdaulicher Tatbestand wird durch dieses Buch zu einer satirischen Lektüre. Den LeserInnen bleibt immer wieder ein Auflachen im Halse stecken. Selbst die Verteuerung der Benutzung der SeniorenBahncard für Behinderte wird von der Bahn als Vergünstigung verkauft.
Das Buch macht deutlich, dass trotz des Bundesgleichstellungsgesetzes die Betroffenen skeptisch bleiben, ob sie bei der Bahn AG zu gleichgestellten Bürgern werden - gleichgestellt zu jenen also, die die Bahn ohne Schwierigkeiten benutzen können. Ein Rollstuhlfahrer - Harry Baus - bringt dieses dreißigjährige Trauerspiel auf den Punkt: «Ich werde seit dreißig Jahren verarscht». omp
Das Schwarzbuch Deutsche Bahn AG
von Antje Henninger/Gusti Steiner unter der Herausgeberschaft von MOBILE - Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. (Hg.) ist für 17 EUR erhältlich:
ISBN 3-930830-36-1
bei
MOBILE e.V.
Roseggerstr. 36
44137 Dortmund
Fax: 0231/9128377 .
am Donnerstag, 01.01.1970, 01:00