Berlin (kobinet) Während über die Umsetzung des Sozialgesetzbuches IX immer wieder diskutiert wird, kam es bei der Podiumsdiskussion anlässlich der Präsentation der Internetplattform des Behindertenbeauftragten der Bundesregierung im Berliner Kleisthaus am 2. April schon fast zu einem show down der verschiedenen für die Umsetzung des Gesetzes zentralen Akteure. Streitpunkt war die Entwicklung von Empfehlungen zur Umsetzung des Gesetzes, die von der Bundesarbeitsgemeinschaft Rehabilitation koordiniert werden soll.
Hatten die Behindertenverbände schon mehrfach den komplizierten und immer wieder verschleppten Prozess für die Entwicklung von Empfehlungen zur Umsetzung des SGB IX heftig kritisiert und die mangelhafte Beteiligung der Behindertenverbände hervorgehoben, platzten dieses Mal vor allem Ministerialdirigent Rainer Wilmerstadt vom Ministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung und Karl Hermann Haack der Kragen. Stein des Anstoßes war die Ankündigung der Bundesarbeitsgemeinschaft Rehabilitation in einer Presseerklärung, dass eine gemeinsame Empfehlung zur Zuständigkeitsklärung am 1. Mai 2003 in Kraft treten solle und eine gemeinsame Erklärung zur Qualitätssicherung verabschiedet worden ist. Dass dies so nicht mit dem Ministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung abgestimmt worden war, brachte Rainer Wilmerstadt kräftig auf die Palme, so dass er androhte, diese Frage zur Not im Herbst durch eine Verordnung des Ministeriums zu klären. Karl Hermann Haack nutzte diesen Disput, um seinem Ärger über die bürokratische Blockadepolitik bei der Umsetzung des SGB IX Luft zu verschaffen, so dass im Kleisthaus für einige Minuten so richtig dicke Luft zwischen den verschiedenen Akteuren herrschte.
Klar wurde in dieser Diskussion, wie groß die Unzufriedenheit mit der Umsetzung des SGB IX bei den von Martina Puschke, Dr. Ulrich Hase und Keyvan Dahesch vertretenen Behindertenverbänden auf der einen Seite und den VertreterInnen des Ministeriums und aus der Politik andererseits mittlerweile ist. Der Druck auf die Rehabilitationsträger, endlich den Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik hin zu mehr Wahlfreiheit und schnellem Service wächst also zurzeit enorm. Vor allem ist positiv zu bewerten, dass die Alltagserfahrungen behinderter Menschen im Umgang mit zum Teil äußerst bürokratisch agierenden Rehabilitationsträgern endlich auch in der Politik und Verwaltung Beachtung finden.
Dass es auch anders geht, bewies indes der Direktor der LVA Baden-Württemberg, Hubert Seiter, durch seine engagierten und lebhaften Beschreibungen der Umsetzung des Gesetzes in seinem Zuständigkeitsbereich. Gezielte Schulungen von MitarbeiterInnen von Servicestellen, einen Check über die Barrierefreiheit der Servicestellen durch Betroffene, Informationsveranstaltungen über die neuen Rechte im Rahmen des SGB IX und eine aufsuchende statt abwartende Hilfe wurden von ihm offensiv vertreten. «Mit Hilfe des SGB IX konnte ich in den letzten Monaten zum Teil mehr bewegen als in den letzten 20 Jahren meiner Tätigkeit zusammen», so Seiter.
Dass das Gesetz aber auch eine Reihe von zukunftsweisenden Möglichkeiten bietet, machte Martina Puschke vom Weibernetz deutlich. Die gesetzliche Verankerung der Arbeitsassistenz, die Verbesserung der Wunsch- und Wahlfreiheit und der Gedanke der Servicestellen böten - gut genutzt - eine Reihe von neuen Möglichkeiten zur Stärkung der Selbstbestimmung Behinderter.
omp
am Donnerstag, 01.01.1970, 01:00