Am 01. Juli 2001 ist das Sozialgesetzbuch – Neuntes Buch (SGB IX) in Kraft getreten, das nicht nur von der Regierungskoalition verabschiedet worden ist, sondern im Deutschen Bundestag auch die Zustimmung von CDU/CSU und FDP gefunden hat.
Ein Ziel des Gesetzes ist es, das Rehabilitationsrecht flexibler zu gestalten, die beteiligten Rehabilitationsträger zu einer verbesserten Zusammenarbeit zu verpflichten und die einzelnen Rehabilitationsleistungen besser aufeinander abzustimmen.
Der Gesetzgeber hat dabei vor allem auf die Selbstreinigungskräfte und die Kooperationsbereitschaft der Rehabilitationsträger vertraut. Er hat wesentliche Fragen nicht detailliert im Gesetz geregelt, sondern stattdessen vorgegeben, dass die Rehabilitationsträger Bundesempfehlungen zur Koordinierung der Leistungen zur Teilhabe zwischen verschiedenen Trägern, zur Zusammenarbeit mit Sozialdiensten und vergleichbaren Stellen, zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der Leistungen, zur Vereinbarung von Komplexleistungen im Bereich der Früherkennung und Frühförderung usw. vereinbaren. Außerdem hat das seinerzeit für das SGB IX zuständige Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens viel Kraft aufgewendet, um gemeinsame Servicestellen der Rehabilitationsträger zur Beratung und Unterstützung behinderter und von Behinderung bedrohter Menschen und ihrer Vertrauenspersonen zu schaffen.
Jetzt – fast zwei Jahre nach Inkrafttreten des SGB IX – muss mit großer Ernüchterung festgestellt werden, dass das Gesetz zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen von den Rehabilitationsträgern nur unzureichend umgesetzt wird.
Bis heute konnte noch keine einzige Bundesempfehlung verabschiedet werden! Viele Rehabilitationsträger haben ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Sie können sich nicht einigen, verschleppen teilweise die Beratungen unter Federführung der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR), versuchen Kostenausweitungen, die angeblich im SGB IX angelegt seien, zu verhindern, legen die gesetzlichen Bestimmungen des SGB IX zu Lasten der betroffenen Menschen aus usw.
Im Einzelnen:
Die Errichtung von gemeinsamen Servicestellen erfolgt nur schleppend und oft nur mit dem geringstmöglichen Einsatz von fachlich ausgebildetem Personal!
In den meisten Städten und Landkreisen sind inzwischen Servicestellen eingerichtet worden. Insofern können die zuständigen Rehabilitationsträger darauf verweisen, das SGB IX formal erfüllt zu haben. Doch wenn man mit behinderten Menschen und ihren Vertrauenspersonen spricht, wird deutlich, dass viele Servicestellen überhaupt nicht bekannt und häufig kaum in der Lage sind, leistungsträgerübergreifend zu beraten. Die Schulungen der von den Rehabilitationsträgern für die Servicestellen abgestellten Berater lassen zu wünschen übrig. Es gibt vielerorts keine gezielte Zusammenarbeit mit den Beratungsstellen der Freien Wohlfahrtspflege und der Behindertenverbände. Vor allem weiß die Öffentlichkeit nicht, dass die Servicestellen einen ganz wesentlichen Beitrag dazu leisten sollen, die Arbeit aller beteiligten Rehabilitationsträger i.S.d. des ratsuchenden betroffenen behinderten Menschen besser aufeinander abzustimmen.
Die beschleunigte Klärung der Zuständigkeit der Rehabilitationsträger steckt fest!
Zu den wichtigsten Vorschriften des SGB IX zählt die Regelung des § 14, die dazu beitragen soll, dass bei Streitigkeiten der Rehabilitationsträger über die Zuständigkeit eine Entscheidung über den Rehabilitationsantrag möglichst innerhalb von zwei Wochen getroffen werden soll. Zwar haben die Rehabilitationsträger unter Federführung der BAR den Entwurf einer Bundesempfehlung zur Klärung der Zuständigkeit gem. § 14 SGB IX vorgelegt; dieser Entwurf versucht jedoch an mehreren Stellen, das gesetzgeberische Ziel zu unterlaufen, das Rehabilitationsverfahren zu beschleunigen und Zuständigkeitsstreitigkeiten nicht auf dem Rücken der betroffenen Menschen auszutragen, sondern im Wege von Kostenerstattungsverfahren zwischen den beteiligten Rehabilitationsträgern. Zu Recht hat deshalb das jetzt für das SGB IX zuständige Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung seine Zustimmung zu diesem Entwurf verweigert.
Zu den echten Reformschritten im SGB IX zählt die Verankerung sogenannter persönlicher Budgets, die behinderte und von Behinderung bedrohter Menschen in die Lage versetzen sollen, die für sie erforderlichen Rehabilitationsleistungen am Markt der Leistungserbringer „einzukaufen“. Obwohl der Gesetzgeber mit äußerster Vorsicht vorgegangen ist und zunächst nur empfohlen hat, die Einführung persönlicher Budgets durch Modellvorhaben zu erproben, haben die meisten Rehabilitationsträger bisher noch nicht die Initiative ergriffen, persönliche Budgets versuchsweise einzuführen. Zwar gibt es Ansätze für derartige Modellvorhaben in Baden-Württemberg, Hamburg und Rheinland-Pfalz; die Beratungen verlaufen jedoch äußerst schleppend.
(Forderungen auf dem Parlamentarierabend der Lebenshilfe am 9.03.2003)
am Donnerstag, 01.01.1970, 01:00