Bad Kreuznach (kobinet - 08.04.2003 - 12:20)
Die Kontaktstelle für kundenbezogene Behindertenangelegenheiten der Deutschen Bahn AG ist zur Zeit eine stark geforderte Abteilung. Denn nicht zuletzt mit der Verabschiedung des Behindertengleichstellungsgesetzes sind auf das Unternehmen eine Reihe von neuen Herausforderungen für eine barrierefreie Gestaltung des Bahnbetriebes zugekommen. kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul sprach am Rande einer Veranstaltung zur Barrierefreiheit als Wirtschaftsfaktor in Bad Kreuznach mit Ellen Engel, der Leiterin dieser Abteilung.
kobinet-nachrichten: Die Struktur der Deutschen Bahn AG ist für viele von außen nur schwer durchschaubar. Wofür sind Sie genau zuständig?
Ellen Engel: Ich bin bei der Deutschen Bahn AG konzernweit für die Kontaktstelle für kundenbezogene Behindertenangelegenheiten zuständig. Das Stichwort der «Kundenbezogenheit» ist dabei nicht unwichtig, weil wir innerhalb des Unternehmens auch 6.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben, die behindert sind und dafür gibt es einen Extrabereich, der sich um die Belange der Beschäftigten mit Behinderungen kümmert. Wir sind also Ansprechpartner für betroffene Reisende, Behindertenverbände, politische Gremien und auch für andere DB-Fachbereiche..
kobinet-nachrichten: Sie machen diesen Job jetzt seit etwas mehr als einem halben Jahr. Wie gestalten sich Ihre ersten Erfahrungen?
Ellen Engel: Meine bisherigen Erfahrungen gehen dahin, dass man zuerst einmal viel Information und Kommunikation nach draußen betreiben muss, um zu erklären, wo wir heute stehen. Dann ist es auch wichtig, viele Dinge, die in der Vergangenheit schlecht oder überhaupt nicht gelaufen sind, entsprechend zu kommentieren. Dabei stoße ich bei meiner täglichen Arbeit auch auf Sachverhalte und Problemstellungen, die unter den aktuellen Gesichtspunkten neu betrachtet und aufgearbeitet werden müssen. Und jetzt versuchen wir erst einmal dieses Thema innerhalb des Konzerns richtig einzubinden und zu positionieren, um Anregungen aufzugreifen und voran zu treiben.
kobinet-nachrichten: Welches sind die nächsten Initiativen, die man in Sachen Barrierefreiheit von der Deutschen Bahn sehen wird?
Ellen Engel: Das wichtigste Thema ist zur Zeit die Präsentation und Diskussion des Programmes zur Entwicklung eines barrierefreieren Angebotes. Da sind wir im Moment mit dem Behindertenbeauftragten, Herrn Haack, in der Abstimmung, um zu klären, in welchem Gremium bzw. mit welchen Vertretern dieses Programm zu diskutieren ist, d.h. wir klären, wie hier das richtige Vorgehen ist. Wir glauben, dass wir im zweiten Quartal 2003 mit diesem Thema in die Diskussion gehen können.
kobinet-nachrichten: Das soll also ein richtiges Programm werden, das festlegt, wie die Deutsche Bahn zukünftig ihre Barrierefreiheit gestalten will?
Ellen Engel: Es geht darum, dieses Thema in den unterschiedlichen Führungsgesellschaften zu verankern, das Selbstverständnis der DB an sich in Bezug auf die Zielgruppe der behinderten Reisenden zu kommunizieren und dann zu entwickeln, welche Maßnahmen wir konkret z.B. im Fernverkehr umsetzen möchten und können. Es muss auch geprüft werden, wie es im Nahverkehr aussieht, was bei den Personenbahnhöfen und anderen Einrichtungen zu tun ist, damit diese in Zukunft barrierefrei gestaltet werden können.
kobinet-nachrichten: Wir werden dann also ein Programm sehen, das die zukünftige Politik der Deutschen Bahn AG in diesem Bereich beschreibt. Gibt es bereits konkrete Maßnahmen, die geplant sind?
Ellen Engel: Ja, so werden z.B. im Fernverkehr ab 2006 die ersten Züge mit einer fahrzeuggebundenen Einstiegshilfe eingesetzt werden. Das sind die Nachfolgeprodukte der lokbespannten Züge und davon kommen die ersten im Jahr 2006 auf den Markt. Dies ist ein Thema, das im Programm verankert wird, und das ist auch für uns als Bahn ein Novum, weil bei uns darüber vor einigen Jahren noch nicht geredet wurde.
kobinet-nachrichten: Werden die neuen ICE-Generationen auch mit diesen fahrzeuggebundenen Einstiegshilfen ausgestattet?
Ellen Engel: Ja, sowohl die Nachfolgeprodukte der lokbespannten Züge als auch die künftigen ICE-Generationen der Deutschen Bahn werden über fahrzeuggebundene Einstiegshilfen verfügen.
kobinet-nachrichten: Was tut sich zukünftig im Bereich Service?
Ellen Engel: Im Bereich Service erarbeiten wir derzeit einen Leitfaden, um unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Umgang mit behinderten Menschen noch vertrauter zu machen. Viele Menschen wollen helfen, haben aber eine Hemmschwelle. Fragen, wie erkenne ich beispielsweise einen gehörlosen Menschen und wie gehe ich generell mit behinderten Menschen um, stehen dabei oft im Mittelpunkt. Man will helfen, aber man muss lernen, um welche Behinderung es geht und wie man respektvoll mit dem behinderten Menschen umgeht.
kobinet-nachrichten: Heißt dies, dass in diesem Bereich Schulungsprogramme durchgeführt werden?
Ellen Engel: Ja, da wird es einen Leitfaden geben und Schulungsprogramme werden entsprechend durchgeführt. Dann möchten wir in diesem Jahr auch eine Marktforschung anstoßen. Einfach um zu erfahren, was erwarten die behinderten Reisenden von uns, um überhaupt einmal die Potenziale kennenzulernen, über welche Behinderungsarten reden wir. Dann ist es für uns wichtig, zu wissen, welche behinderten Menschen reisen heute schon mit uns, welche behinderten Menschen reisen nicht mit uns und aus welchen Gründen reisen diese Menschen nicht mit uns.
kobinet-nachrichten: Die Verbände und die Behinderten beklagen sich häufig über die Bahn und müssen zuweilen viele Einschränkungen aushalten. Wenn Sie einen Wunsch an die Betroffenen und ihre Verbände frei hätten, welcher wäre das?
Ellen Engel: Ich hätte den Wunsch eines konstruktiven Dialogs. Am Anfang, als ich in dem Job gestartet bin, habe ich sehr viel Aggressivität bemerkt und auch sehr viele Forderungen, manchmal auch überzogene Forderungen wurden an die DB herangetragen. Ich konnte sie auch verstehen, weil jahrelang nichts passiert ist, und viele Menschen auch schlechte Erfahrungen gemacht haben. Deswegen wünsche ich mir gegenseitiges Verständnis und einen konstruktiven Dialog, um einfach festzustellen, hier ist der gute Wille da, aber auch die Grenze des Machbaren zu erkennen.
kobinet-nachrichten: Das zu entwickelnde Programm zur Barrierefreiheit könnte sicherlich dabei helfen, eine Orientierung dafür zu geben, welche Veränderungen konkret geplant sind.
Ellen Engel: Ganz genau, das sehe ich auch so. Die DB verpflichtet sich zu einem bestimmten Selbstverständnis, zu bestimmten Maßnahmen und daran können wir auch in Zukunft gemessen werden.
kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg in Ihrem noch neuen Job und für die Deutsche Bahn.
(Das Interview führte kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul)
am Donnerstag, 01.01.1970, 01:00