Berlin: Als Andrea Schatz am 15. August 2021 auf dem Rückflug von Toulouse um 21 Uhr in Frankfurt zum Weiterflug nach Berlin umstieg, verweigerte ihr der Lufthansa-Kapitän die Beförderung des Rollstuhls. Sie musste in Frankfurt in einem nicht barrierefreien Zimmer übernachten und wurde erst am nächsten Tag befördert. Da eine Beschwerde bei der Lufthansa keine Wirkung zeigte, hat Andrea Schatz die zuständige Schlichtungsstelle mit einem nun erfolgreichen Ausgang angerufen. Dieser Ausgang, über den Andrea Schatz berichtet, ist für das NETZWERK ARTIKEL 3 eine gute Nachricht zur Inklusion, weil er zeigt, dass es sich lohnt, sich für seine Rechte einzusetzen und Mut macht, gegen Diskriminierungen vorzugehen.
Bericht von Andrea Schatz
Im August 2021 habe ich in den kobinet-nachrichten über meine Nichtbeförderung durch die Lufthansa berichtet. Im März 2022 fand nun eine einvernehmliche Schlichtung statt.
Nachdem die Lufthansa sich einen Monat Zeit gelassen hatte, auf meine Beschwerde zu reagieren und sie mit einer nichtssagenden, abwiegelnden E-Mail abgebügelt hatte, war absehbar, dass meine Bitte um Entschädigung erfolglos bleiben würde. Deshalb hatte ich im September 2021 bei der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (söp) einen Antrag auf Schlichtung gestellt. Im Februar 2022 erhielten die Lufthansa und ich die Schlichtungsempfehlung der söp. Nach juristischer Bewertung aller Aspekte stellt die söp u. a. fest:
· "Eine gleichberechtigte Teilhabe am Reisen war nicht möglich. Stattdessen wurde die Beschwerdeführerin in einer für sie demütigenden und zutiefst irritierenden Weise vom Weiterflug ausgeschlossen. …
· Das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes - AGG) verbietet eine Benachteiligung von (u.a.) behinderten Menschen bei sog. Massengeschäften, zu denen auch Luftbeförderungsverträge zahlen. Die Nichtmitnahme der Beschwerdeführerin war auch in ihrer Behinderung begründet, da der Kapitän die Transportfähigkeit ihres Rollstuhls anzweifelte und eine mobilitätseingeschränkte Person nicht ohne ihren Rollstuhl reisen kann. Zudem wurde die Beschwerdeführerin in einem nicht barrierefreien Hotel untergebracht. … Damit liegen starke lndizien für eine Benachteiligung i.S.d. AGG vor. …
· Ein sachlicher Rechtfertigungsgrund für die Nichtbeförderung i.S.d. § 20 AGG erscheint stark zweifelhaft. Zwar kann ein solcher vorliegen, wenn die unterschiedliche Behandlung der Vermeidung von Gefahren dient (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 AGG). Dafür wäre jedoch erforderlich, dass die Sicherheit der Besatzung bzw. der anderen Fluggäste tatsachlich gefährdet war. Hierfür finden sich keine Anhaltspunkte. ... Die Beförderung wurde aufgrund von Sicherheitsbedenken des Kapitäns hinsichtlich des Rollstuhls verweigert. Diese dürften aber nur dann beachtlich sein, wenn tatsächlich eine Gefahr bestand. Etwaige Wissenslücken und mangelnde Vorbereitung können aber nicht zu einem vertretbaren Grund führen. Aus den bereits erläuterten Gründen kann die Schlichtungsstelle nicht von vertretbaren Gründen für die Nichtbeförderung ausgehen. …
· Die Schlichtungsstelle regt an, dass Lufthansa den Vorfall noch einmal mit den betroffenen Mitarbeiter:innen aufarbeitet, ggf. unter Hinzuziehung der Beschwerdeführerin, und sich weiter um die Etablierung barrierefreien Reisens bemüht.“
Im Ergebnis empfiehlt die söp:
"Nach Abwägung aller Umstände (insbesondere starke Anhaltspunkte für eine Benachteiligung ohne sachlichen Grund sowie Empfehlung der Antidiskriminierungsstelle einerseits und Anrechnung der Ausgleichszahlung andererseits) empfehlen wir zur einvernehmlichen Streitbeilegung: Lufthansa zahlt an die Beschwerdeführerin 2.000 EUR. Darüber hinaus schreibt sie dem Meilenkonto der Beschwerdeführerin 15.000 Meilen gut.“
In ihrer Schlichtungsempfehlung weist die söp darauf hin, dass sich in der Rechtsprechung bislang keine der Schmerzensgeldtabelle vergleichbaren festen Entschädigungshöhen für die Benachteiligung von behinderten Personen bei Massengeschäften etabliert haben. Eine Entschädigung (i.S.v. § 21 Abs. 2 S. 3 AGG) sei ",angemessen" wenn sie zum einen der betroffenen Person Genugtuung für die erlittene Benachteiligung verschaffe und zum anderen ausreichend hoch bemessen ist, um von weiteren Benachteiligungen in der Zukunft abzuschrecken (sog. präventive "abschreckende Wirkung").
"Entscheidend sind jedenfalls immer die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Schwere des Verstoßes und die Folgen für die betroffene Person. Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin infolge der Nichtbeförderung an einem Zwischenziel ohne weitere Hilfestellung am späten Abend zurückgelassen wurde. Dies wirkt sich bei Reisenden mit einer Mobilitätseinschränkung besonders schwer aus. Zudem wurde sie in einem nicht barrierefreien Hotel untergebracht.“
Ob 2.000 Euro für Lufthansa abschreckend sind, weiß ich nicht. Laut söp hätte der "Vorgang“ durch meine Einschaltung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die Durchführung des Schlichtungsverfahrens und nicht zuletzt die Veröffentlichungen in den Medien für einigen Wirbel bei Lufthansa gesorgt. Gut so!
Ich stimmte der Schlichtungsempfehlung zu, denn sie verschafft mir die beabsichtigte Genugtuung für die erlittene Benachteiligung. Die Entschädigungshöhe empfinde ich in der gegebenen Situation als angemessen. Die Meilen-Gutschrift werde ich wohl nicht in Anspruch nehmen, denn ich besitze kein Meilenkonto bei Lufthansa und nach meinen Erfahrungen habe ich auch nicht die Absicht eins einzurichten. Die Lufthansa stimmte der Schlichtungsempfehlung ebenfalls zu.
Über diese vertragliche Einigung bin ich sehr erleichtert. Damit ist die Geschichte erfolgreich ausgekämpft. Ich habe sie so ausführlich erzählt, weil ich Betroffenen Mut machen möchte, sich gegen Benachteiligungen zu wehren, sich Verbündete zu suchen und durchzuhalten!
Die Schlichtungsempfehlung ist natürlich individuell. Aber über meinen konkreten Fall hinaus enthält sie rechtliche Hinweise bezüglich der Benachteiligung von Menschen mit Behinderung, wie z.B.:
· "Die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (VO) sieht für Personen mit eingeschränkter Mobilität und deren Begleitpersonen vorrangige Rechte vor, um den besonderen Bedürfnissen Rechnung zu tragen. … Ein Luftfahrtunternehmen muss in diesen Fällen zudem nach Art. 10 Verordnung (EG) Nr. 1107/2006 entsprechende Hilfe leisten.
Eine solche Hilfe ist somit mehr als 'nur' ein freundlicher Kundenservice, sondern eine gesetzliche Pflicht zur Gewährleistung gesellschaftlicher Teilhabe mobilitätseingeschränkter Reisender.“
· "Ferner besteht im Fall der Nichtbeförderung ein Anspruch auf Betreuungsleistungen (Verpflegung, 2 Kommunikationsmöglichkeiten und ggf. Hotelübernachtung einschließlich Transfer) während der Wartezeit auf die Ersatzbeförderung (Art. 4 Abs. 3 i.V.m. Art. 9 VO). Verletzt die Fluggesellschaft ihre Verpflichtungen, besteht ein Anspruch auf Erstattung der dadurch entstandenen Kosten.
Es dürfte nicht genügen, Menschen mit Behinderungen eine beliebige Unterkunft anzubieten. Vielmehr muss diese auch barrierefrei sein. Ebenso ist bei Ausgabe eines Verpflegungsgutscheins zu beachten, inwiefern dieser barrierefrei auch für Menschen mit Behinderungen ohne Schwierigkeiten genutzt werden kann.“
Wenn es gilt, sich gegen Benachteiligungen im öffentlichen Personenverkehr zu wehren, können sie in der Argumentation ggf. hilfreich sein.