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ParagraphenzeichenBerlin/Hameln/Trier: Viele Menschen beschäftigt gerade in Zeiten der Corona-Pandemie das Thema der Triage, also der Entscheidung, wer im Falle einer Ressourcenknappheit behandelt wird und wer nicht. Der Erfolg der neun engagierten Menschen mit ganz unterschiedlichen Behinderungen mit ihrer von AbilityWatch initiierten Beschwerde gegen die derzeitigen Regelungen vor dem Bundesverfassungsgericht ist für das NETZWERK ARTIKEL 3 eine gute Nachricht zur Inklusion. In Ergänzung zur umfangreichen Berichterstattung über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Dezember 2021 zum Schutz behinderter Menschen vor Diskriminierungen im Falle einer pandemiebedingten Triage lohnt daher der Blick auf die Menschen, die die große Mühe der sehr umfangreichen Verfassungsbeschwerde auf sich genommen haben.

In den Medien war meist pauschal von neun behinderten Menschen die Rede, die die Verfassungsbeschwerde mit Unterstützung des Anwalts Prof. Dr. Oliver Tolmein von der Hamburger Kanzlei Menschen und Rechte in Karlsruhe eingereicht haben. Hinter den 75seitigen Ausführungen für die Verfassungsbeschwerde zur Triage vom 27. Juni 2020 stecken folgende neun Personen, die sich ohne die nötigen finanziellen Ressourcen für eine solche Verfassungsbeschwerde und rein auf Spenden vertrauend ans Werk gemacht haben und Begründungen aus verschiedenen Blickwinkeln für diese Verfassungsbeschwerde angeführt haben.

Herrn Kevin Ahrens - Beschwerdeführer zu 1
Jenny Bießmann - Beschwerdeführerin zu 2
Frau Anne Gersdorff - Beschwerdeführerin zu 3
Constantin Grosch - Beschwerdeführer zu 4
Raul Aguayo-Krauthausen - Beschwerdeführer zu 5
Cornelius Nacke - Beschwerdeführer zu 6
Nancy Poser - Beschwerdeführerin zu 7
Thomas Schulze zur Wiesch - Beschwerdeführer zu 8
und Prof. Dr. Hans Wolfgang Spiess - Beschwerdeführer zu 9

Link zum Text der Verfaassungsbeschwerde zur Triage mit Ausführungen zu den einzelnen Beschwerdeführer*innen

Einige der Beschwerdeführer*innen haben sich am 28. Dezember 2021 im Rahmen einer Online-Pressekonferenz zu Wort gemeldet und den Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht bewertet. Constantin Grosch bewertet das Urteil beispielsweise als Erfolg und einen großen Meilenstein für die Behindertenbewegung. Denn das Gericht berufe sich nicht nur auf Artikel 3 des Grundgesetzes, sondern beziehe auch die UN-Behindertenrechtskonvention mit ein.

Rechtsanwalt Prof. Dr. Tolmein von der Kanzlei Menschen und Rechte begrüßte ausdrücklich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: "Der Beschluss unterstreicht, dass Artikel 3 Abs 3 Satz 2 GG eine Schutzpflicht des Gesetzgebers begründet und dass der Gesetzgeber mit Blick auf die drohende Triage gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen hat! Das ist ein äußerst wichtiges Signal.”

“Wir erwarten, dass der Gesetzgeber schnellstmöglich handelt. Er hat einen großen Handlungspielraum erhalten, den er nun gemeinsam mit Verbänden von Menschen mit Behinderungen für die Erarbeitung diskriminierungsfreier Triage-Regelungen nutzen muss. Diesen Prozess wollen wir konstruktiv und aufmerksam begleiten”, erkläre Nancy Poser.

Link zum vollständigen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts – 1 BvR 1541/20

Da durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts der Deutsche Bundestag nun aufgefordert ist, unverzüglich Regelungen zu treffen, durch die behinderte Menschen im Falle einer pandemiebedingten Triage nicht benachteiligt werden, unterstützt das von der Aktion Mensch geförderte Projekt "Gute Nachrichten zur Inklusion" eine Veranstaltung zum Thema des Landesbehindertenbeauftragten von Bremen, Arne Frankenstein, die am 17. Januar 2022 von 14:00 bis 16:15 Uhr mit einer Reihe von Akteur*innen und drei Bundestagsabgeordneten online stattfindet.

Link zur Veranstaltungsankündigung am 17. Januar 2022 zur Triage

Link zum IGEL-Podcast mit dem Koordinator des Projektes "Gute Nachrichten zur Inklusion" Ottmar Miles-Paul zur Triage-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

 

Hintergrund:

Im Juli 2020 erhoben neun Menschen mit Behinderungen Verfassungsbeschwerde, die vom AbilityWatch e.V. unterstützt wurde. Mit dieser möchten die Beschwerdeführer*innen eine gesetzliche Regelung zur Triage erwirken, die in Deutschland bisher fehlt. Nachdem im Frühjahr 2020 in einigen Regionen Deutschlands die Durchführung von Triagen kurz bevorzustehen schienen und die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) bereits eine Empfehlung mit anzuwendenden Kriterien herausbrachte, befürchteten die Beschwerdeführer*innen, dass Kriterien wie Alter, Behinderung und Komorbidität als Kriterium bei der Verteilung von lebensnotwendigen medizinischen Ressourcen herangezogen würden. Einen Eilantrag wiesen die Verfassungsrichter*innen am 16. Juli 2020 mit Blick auf die geringe Inzidenzzahl ab. Nun hat das Bundesverfassungsgericht weitgehend zugunsten der Beschwerdeführer*innen am 28. Dezember 2021 entschieden.

Link zur Pressekonferenz der Beschwerdeführer*innen auf YouTube mit Gebärdensprachdolmetschung