Einleitung zum Völkerrecht (Klaus Lachwitz)

1. Vereinte Nationen

1.1 Behindertenrechtskonvention

Am 13. Dezember 2006 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung angenommen und zusätzlich ein Fakultativprotokoll zum Übereinkommen verabschiedet. Bis zum 31.10.2008 ist dieses Übereinkommen von 40 Staaten ratifiziert worden. Eine Regierungsdelegation der Bundesrepublik Deutschland hat es am 30. März 2007 unterzeichnet. Das Ratifikationsverfahren ist von der Bundesregierung am 17.10.2008 (BR-Drs. 760/08) eingeleitet worden und wurde bis zum Jahresende 2008 abgeschlossen (BGBl II Nr. 35 S 1419).

Das Übereinkommen hat den Rechtscharakter einer Konvention des Völkerrechts. Es bindet die Vertragsstaaten und tritt am 30. Tag nach Hinterlegung der Ratifikationsurkunde in Kraft (Art. 45 Abs. 2) für die Bundesrepublik Deutschland war dies der 26. März 2009.

Die Konvention setzt im Bereich der Menschenrechtsverträge neue Maßstäbe in Bezug auf die Einbeziehung der Geschlechterperspektive. Es wurde der sogenannte "twin track approach" - ein zweigleisiger Ansatz - realisiert. Neben einem eigenen Frauenartikel (Art. 6) gibt es in verschiedenen weiteren Artikeln Frauen- und Genderreferenzen. Damit übernehmen die Vertragsstaaten weit reichende Verpflichtungen, die Situation von Mädchen und Frauen mit Behinderungen zu verbessern.

Ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens sind die Vertragsstaaten gem. Art. 4 Abs. 1 verpflichtet, "alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Umsetzung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte zu treffen" und Gesetze, Verordnungen aufzuheben, die eine Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen darstellen.

Zu den wichtigsten Vorschriften zählt Art. 9 (Zugänglichkeit) der die Vertragsstaaten dazu verpflichtet, "geeignete Maßnahmen mit dem Ziel zu treffen, für Menschen mit Behinderungen den gleichberechtigten Zugang zur physischen Umwelt, zu Transportmitteln, Information und Kommunikation, einschließlich Informations- und Kommunikationstechnologien und -systemen, zu gewährleisten." Ergänzend dazu ist in Art. 4 Abs. 1 f), dass sich die Vertragsstaaten verpflichten, "sich bei der Entwicklung von Normen und Richtlinien für universelles Design einzusetzen."

Gesetzliche Vorschriften und DIN-Normen für Waren- und Dienstleistungen müssen also in Zukunft so gestaltet werden, dass behinderungsgerechte Standards eingeführt und Normsysteme, die behinderte Menschen benachteiligen, aufgehoben werden.

Art. 12 (Gleiche Anerkennung vor dem Recht) erteilt jeder Form von Entmündigung bzw. jeder Anordnung von Geschäftsunfähigkeit eine Absage. Stattdessen erkennen die Vertragsstaaten an, "dass Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen gleichberechtigt mit anderen Rechts- und Handlungsfähigkeit genießen." Benötigen behinderte Menschen Hilfe und Schutz bei der Teilnahme am Rechtsverkehr, so treffen "die Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen, um Menschen mit Behinderungen Zugang zu der Unterstützung zu verschaffen, die sie bei der Ausübung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit ggf. benötigen."

Art. 19 (Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft) regelt, dass Menschen mit Behinderungen mit den gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in der Gemeinschaft leben dürfen und das Recht haben, "ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben."

Art. 24 (Bildung) schreibt vor, dass die Vertragsstaaten sicherstellen, "dass Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden und dass Kinder mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht oder vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen werden." In der zwischen Deutschland, Liechtenstein, Österreich und der Schweiz abgestimmten Übersetzung des Übereinkommens in die deutsche Sprache heißt es außerdem, dass "Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie leben, Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben." Der englische Originaltext verwendet nicht den Begriff "Integrativer Unterricht", sondern spricht von Inklusiver Erziehung (Inclusive Education) und verfolgt damit das Ziel, dass behinderte Kinder von Anfang an gleichberechtigten Zugang zum Grundschulbesuch haben.

Die Bundesregierung hat den zur Ratifikation vorgelegten Text, der in der BR-Drs. 760/08 vom 17.10.2008 in englischer, französischer und deutscher Sprache abgefasst ist, eine Denkschrift angefügt, in der sie darlegt, wie das Übereinkommen nach ihrer Auffassung die deutsche Gesetzgebung beeinflusst. Sie erweckt in der Denkschrift den Eindruck, dass das deutsche Recht weitgehend den Anforderungen des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen genügt. So vertritt sie den Standpunkt, dass die §§ 104 und 105 BGB, die die Regelung enthalten, dass die Willenserklärung eines geschäftsunfähigen Menschen nichtig ist, nicht mit Art. 12 des Übereinkommens kollidiert. Dies steht weder mit dem Wortlaut noch mit der Entstehungsgeschichte des Art. 12 in Einklang.

1.2 Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes

Nach 10jähriger Vorbereitung hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 20.11.1989 die Kinderkonvention verabschiedet. In der Bundesrepublik Deutschland ist die Konvention am 17.02.1992 in Kraft getreten (BGBl II S 121).

Art. 2 enthält ein allgemeines Diskriminierungsverbot und verpflichtet die Vertragsstaaten, die in dem Übereinkommen enthaltenen Rechte allen Kindern "ohne jede Diskriminierung unabhängig von einer Behinderung zu gewährleisten." Art. 23 enthält eine Sonderregelung der "Rechte behinderter Kinder". Nach Abs. 3 dieser Vorschrift ist sicherzustellen, "dass Erziehung, Ausbildung, Gesundheitsdienste, Rehabilitationsdienste, Vorbereitung auf das Berufsleben und Erholungsmöglichkeiten dem behinderten Kind tatsächlich in einer Weise zugänglich sind, die der möglichst vollständigen sozialen Integration und individuellen Entfaltung des Kindes förderlich ist."

2. Europarat

2.1. Europäische Menschenrechtskonvention

Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) bzw. Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ist am 03.09.1953 in Kraft getreten und inzwischen von fast allen europäischen Staaten ratifiziert worden (Ausnahme: Weißrussland und der Vatikan).

Die EMRK enthält die klassischen Freiheitsrechte wie das Recht auf Leben (Art. 2), das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5) und das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 10). Es regelt jedoch auch wirtschaftliche, kulturelle und politische Rechte wie das aktive und passive Wahlrecht (Art. 3) und die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (Art. 11). Die Terminologie der Konvention ist aus heutiger Sicht teilweise veraltet und revisionsbedürftig. So heißt es in Art. 5, dass die Freiheit einem Menschen nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden darf, wenn er — "eine Gefahrenquelle für die Ausbreitung ansteckender Krankheiten bildet oder weil er geisteskrank, Alkoholiker, rauschgiftsüchtig oder Landstreicher ist." Die EGMR ist im Laufe der Jahrzehnte um insgesamt 13 Zusatzprotokolle ergänzt worden. Beispiel: Das Zusatzprotokoll vom 28. April 1983, das die Todesstrafe verbietet.

2.2 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

Mit der Europäischen Menschenrechtskonvention wurde der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg geschaffen. Seit 1998 kann jede Person, die sich in ihren in der Europäischen Menschenrechtskonvention geregelten Rechten verletzt fühlt, nach Ausschöpfung des nationalen Rechtswegs Individualbeschwerde vor dem EGMR erheben. Daneben können auch die einzelnen Mitgliedsstaaten wegen einer Verletzung der Konvention durch einen anderen Mitgliedsstaat den Gerichtshof anrufen.

Ein derartiges Rechtsschutzsystem ist für internationale Menschenrechtskonventionen einzigartig und unterscheidet die EMRK beispielsweise von den Konventionen der Vereinten Nationen.

2.3. Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin

Dieses häufig als Bioethik-Konvention "bezeichnete Übereinkommen des Europarates vom 4. April 1997" ist von der Bundesrepublik Deutschland bisher nicht ratifiziert worden. Maßgebend dafür ist u. a. die Kritik an den Artikeln 17 und 20, die unter engen Voraussetzungen die fremdnützige Forschung an nichteinwilligungsfähigen Menschen und die Entnahme von regenerierbarem Gewebe von nicht einwilligungsfähigen Menschen zu Transplantationszwecken für zulässig erklären.

2.4 Revidierte Europäische Sozialcharta

In Ergänzung zur Europäischen Sozialcharta von 1961, die das Recht auf Arbeit, das Koalitionsrecht, das Recht auf Kollektivverhandlungen, das Recht auf soziale Sicherheit, das Recht auf Fürsorge und das Recht auf sozialen, gesetzlichen und wirtschaftlichen Schutz der Familie regelt, umfasst die revidierte Europäische Sozialcharta vom 3. Mai 1996 das Recht auf Schutz gegen Armut und sozialer Ausgrenzung; das Recht auf Wohnung; Kündigungsschutz; Recht auf Arbeitslosenunterstützung, Recht auf Schutz vor sexueller Belästigung und anderen Formen der Belästigung am Arbeitsplatz; Recht der Arbeitnehmer mit Familienpflichten auf Chancengleichheit und Gleichbehandlung; und Rechte der Arbeitnehmervertreter im Betrieb. Deutschland hat die revidierte Fassung der Europäischen Sozialcharta zwar im Jahr 2007 unterzeichnet, bisher jedoch noch nicht ratifiziert.

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